Gefragte flinke Hände bei einer Radpanne

In der MAZ-Serie "Treue Seele stellen wir diesmal Ingo Weise vom Potsdamer OSC-Cyclingteam vor. Der 75-Jährige ist Breitensportwart und hilft als Mechaniker aus.

Das Surren der Ritzel klingt Ingo Weise in den Ohren wie das Summen der Bienen in seinem Garten. In seiner kleinen Fahrrad-Werkstatt im Keller ist alles auf engstem Raum praktisch eingerichtet – vom Werkzeug bis zu den Ersatzteilen. Nach dem Motto „Ordnung ist das halbe Leben“ frönt er auch seinem Hobby, dem Radsport. Da muss die Kette gut geölt sein, Zahnkranz und Speichen blinken frisch poliert und die Schaltung geht leicht von der Hand. Und selbstverständlich hat der Reifen auch genügend Luft.
Ingo Weise vom Potsdamer OSC-Cyclingteam ist ein Radsportler alter Schule, hat alles von der Pike auf gelernt. Der gebürtige Kyritzer kam einst durch die „Kleine Friedensfahrt“ zu dem Sport auf dem Zweirad. „Weil ich damals, 1960, bei der Kleinen Friedensfahrt gewonnen hatte, durfte ich danach bei der richtigen Friedensfahrt in Berlin zuschauen. Dort fand für mich die Siegerehrung statt.” Fortan war er infiziert vom Radsport-Virus, schloss sich dem Verein Motor Rathenow an. Für Dynamo Kyritz bestritt er Jugendrennen.
Nach Feierabend in der Fahrradwerkstatt geholfen Während seiner Autoschlosser-Lehre arbeitete er nach Feierabend in der Fahrrad-Werkstatt. „Damals wurde ja noch nicht so viel weggeschmissen, sondern alles repariert. Die Räder neu einzuspeichen, wenn da eine Acht drin war, war völlig normal“, berichtet er. Nach dem Studium der Elektrotechnik kam er beruflich nach Potsdam ans Rechenzentrum. Bei Dynamo Potsdam fand er eine neue radsportliche Heimat. Das Trainingszentrum brachte Talente wie den späteren Weltmeister und Olympia-Zweiten Carsten Wolf oder Doppel-Olympiasieger Robert Bartko hervor.
Nach der Wende schloss sich Weise der neuen Radsportabteilung beim OSC Potsdam an. Dort ist er als Breitensportwart im Vorstand. Sein Betätigungsfeld sind RTF’s, die Radveranstaltungen für Hobbyfahrer, aber auch Masters-Rennen. Natürlich ist Weise öfters den Velothon in Berlin oder die Cyclassics in Hamburg mit vielen tausend „Jedermännern” mitgefahren oder die Vätternsee-Rundfahrt nonstop über 300 Kilometer in Schweden. Im Frühjahr Trainingslager auf Mallorca Alljährlich bringt er sich mit seinen Vereinsgefährten bei einer Trainingswoche auf Mallorca im Frühjahr in Form. „Das Trainingslager konnten wir dieses Jahr vom 5. bis 15. März gerade noch rechtzeitig vor den Corona-Beschränkungen durchführen. Das macht mir immer noch viel Spaß“, sagt der mittlerweile 75-Jährige, den OSC-Radsportchef Andreas Koch immer gern in seinem Peloton dabei hat. „Denn Ingo ist unser Teammechaniker. Der kriegt immer alles wieder hin.“ Und so ist Ingo Weise für die Männer in den roten OSC-Trikots nicht nur die treue, sondern auch die gute Seele im Verein.
Groß war die Gaudi zu Weises 70. Geburtstag. Alle Radsportfreunde hatten zusammengelegt, um ihm ein neues Rennrad zu schenken. Doch ehe er die Geburtstagsüberraschung in Empfang nehmen konnte, wurde der verdutzte Jubilar unter dem Gelächter der Partygäste mit einem Rollator samt Transfusionsschlauch und Tropf konfrontiert.
Die Alpenpässe rauf und runter „Der Spaß steht beim Radfahren bei mir immer im Vordergrund“, meint Weise, der noch immer 6000 Kilometer im Jahr schafft und auf dem Zweirad schon fast die ganze Welt bereist hat. Der Potsdamer kletterte nicht nur über die berühmten Berge der Tour de France wie Alpe d’Huez, Col de la Croix, Col de la Madeleine, Col du Galibier oder Col d’Izoard in den Alpen und Pyrenäen, sondern war auch auf den Karibikinseln Kuba und Tobago. Dort war er nicht nur als Mechaniker einer von OSC-Teamchef „Kochi“ zusammengestellten Equipe zur Stelle, sondern konnte sich bei den Masters selbst ausprobieren – sogar als Zweiter in der Gesamtwertung. Weise meint: „Während bei den Profiteams bei einer Panne inzwischen gleich die kompletten Rennräder getauscht werden, ist bei uns Hobby-Fahrern immer noch Handarbeit gefragt.“ Sogar an die Reparatur elektronischer Schaltungen hat er sich inzwischen gewagt. Ein bisschen Nostalgiker Dabei ist Weise eher Nostalgiker, sitzt auf einem Renner mit Alu- statt Carbon-Rahmen. Er hat noch so manchem Oldie im (Renn-)Stall. Daher würde ihn die Teilnahme an einer „L’Eroica“, eine Rundfahrt mit historischen Rädern, in alten Baumwolltrikots sowie mit Lederkappe auf dem Kopf schon noch mal reizen. Außerdem sammelt er. Über 500 Steuerkopfschilder besitzt er, auch alte Schaltungen und Bremsen finden bei ihm Platz in der Vitrine. Und wenn er mal nicht seine 80 Kilometer auf dem Rad – „nur bei Sonnenschein“ – runterkurbelt oder in der Werkstatt repariert, gärtnert er. Gerade haben die Erdbeerpflanzen frischen Pferdemist bekommen.

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